Ihr
habt mich eingeladen. Sagt mal, wollt ihr mich verarschen? Wisst ihr
nicht, was ihr mir damit antut? Seitdem sehe ich es immer wieder vor
mir. Immer und immer wieder. Wenn ich die Augen schließe. Wenn ich
alleine bin. Wenn mich niemand davor beschützen kann. Ich höre
immer wieder eure Stimmen. Wie ihr mich auslacht. Wie ihr so tut, als
wäre ich nicht da.
Ich
will euch nicht sehen. Ich will nie wieder etwas von euch hören.
Eigentlich hatte ich gedacht, dass ich niemals zu einem
Klassentreffen eingeladen würde. Ehrlich gesagt hatte ich es sogar
gehofft. Nein, ich will euch nicht sehen. Nicht jetzt. Nicht in ein
paar Jahren. Nicht in einem Jahrhundert. Niemals wieder. Ich will
nicht mit euch reden. Ich will euch auch nicht zuhören.
„Schön
dich zu sehen“, würdet ihr sagen. Sagt mal, wollt ihr mich
verarschen? Nicht mehr als heuchlerisches Geschwätz. Ich warte
drauf, dass es vorbei ist. Warum lasst ihr mich nicht in Ruhe? Ich
dachte, nach dem Schulabschluss wäre es vorbei. Doch ich sehe noch
immer eure Fratzen vor mir. Höhnisch lachend, weil ich nichts gegen
eure Einheit ausrichten konnte. Ignorieren half nicht. Mich zu wehren
half nicht.
„Wenn
du nicht darauf eingehst, hören sie von selber auf. Ignorier es
einfach.“ Von wegen! Diesen Ratschlag hatte ich schon viel zu oft
gehört. Ich hatte es versucht. Wirklich. Aber bloßes Ignorieren
stachelte euch nur noch mehr an. Ihr habt euch aufgedrängt, mich in
die Ecke getrieben und mich dann noch verspottet, wenn ich versucht
habe, aus dieser Ecke auszubrechen. Ihr habt euch immer mehr
aufgedrängt. Noch mehr, Und noch mehr. Sagt mal, wollt ihr mich
verarschen? Ihr wollt mich sehen, mit mir einen trinken gehen als sei
nichts geschehen? Mein Plan war zu überleben, euch keine Vorlagen zu
geben, die ihr überall gefunden habt. Egal, was ich tat. Oder was
ich ließ.
Als
ich meinen ersten Freund hatte, wurde es noch schlimmer. Ich dachte,
es musste so sein. Wirklich. Ich dachte, es sei eben so, dass man
seinem Freund all seine Freizeit opfern muss. Dass man ihn in jeder
Pause und Freistunde anrufen muss. Ich dachte, es sei normal, ihm
jeden verdammten Tag den Vertretungsplan mitbringen zu müssen und
niemals mit einem männlichen Mitschüler sprechen zu dürfen. Ihr
hättet es mir sagen können. Ihr hättet mir helfen können. Sagt
mal, wollt ihr mich verarschen? Ich dachte, es sei normal, immer
erreichbar sein zu müssen, sogar mitten im Unterricht. Und wehe ich
bin nicht rangegangen, wenn mitten in der Stunde das Telefon
geklingelt hat.
Ich
war hin- und her gerissen zwischen meinem Stolz und dem, was ich für
meine Pflicht hielt. Leider hatte ich das Falsche aufgegeben. Aber
ich dachte, es müsse so sein.
Er
konnte mir alles erzählen. Dass eine Beziehung nur funktionieren
kann, wenn man sich jeden Tag, jeden verdammten Tag direkt nach der
Schule sieht. Bis. Man. Schlafen. Geht. Dass man immer nachweisen
muss, wo man im Laufe des Tages gewesen ist. Dass man Ärger bekommt,
wenn man den Bus verpasst. Sag mal, wolltest du mich verarschen?
Natürlich
bekam das in der Schule jeder mit. Und ihr nahmt es euch zur Vorlage.
Ich litt unter meinem Freund. Und deshalb litt ich noch mehr als
vorher unter euch. Denn ihr dachtet, ich hätte das alles freiwillig
getan. Freiwillig! Dass ich nicht lache! Sagt mal, wollt ihr mich
verarschen? Ihr machtet euch darüber lustig, was ich tat und äfftet
mich pausenlos nach.
Alles,
was ich tat, breitete sich unter lautem Gelächter in der ganzen
Schule aus, sogar bei Leuten, die ich nicht kannte.
Ihr
habt mein Leben ruiniert bevor es richtig begonnen hatte. Nein, ich
will euch wirklich nicht sehen, bleibt mir vom Hals! Nur ohne euch
kann ich das Beste aus diesem Trümmerhaufen machen, der sich mein
Leben schimpft und den ich noch immer am aufräumen bin.
Es
ist jetzt fünf Jahre her und ich kann noch immer nicht unbeschwert
leben. Ich kann noch immer nicht schlafen und alles, was ich sage,
kommt mir dumm vor.
Ich
habe noch immer Angst vor euch. Ich habe noch immer Angst vor ihm.
Und ich habe mich durch euch zu dem entwickelt, was ich jetzt bin.
Zynisch. Kalt. Fast tot.
Angst
vor der Dunkelheit.
Angst
davor, zu schlafen.
Angst
vor Einsamkeit.
Angst
davor, nichts wert zu sein.
Fällt
euch etwas auf? Statt Spott hätte ich Hilfe gebraucht.
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