Dienstag, 30. Juni 2015

Zahlen, bitte!

Ich lebe in einer Welt, in die ich nicht hineingehöre. Das war mir schon als Kind klar. So klar, dass ich mich schon damals in eigene Welt zurückgezogen habe. Meine Welt. Meine Welt, in der alles besser ist. Doch irgendwann musste ich einsehen: Es ist nicht real. Schade drum, denn ich bin noch immer gerne dort. Ich frage mich, was wäre, wenn ich nicht in einem „freien“ Land geboren worden wäre, in dem „jeder tun kann, was er will“, sondern in einem freien Land, in dem jeder tun kann, was er will. Jeder kann tun, was er will. Natürlich, deswegen habe ich auch versucht, mich anzupassen und wäre beinahe soweit gewesen, dass ich tagtäglich in Bluse und Blazer ins Büro gerannt wäre. Ich kenne Leute, die das gerne tun, aber ich musste es, weil mir jeder, restlos jeder erzählt hat, ich solle etwas Ordentliches machen. Da frage ich mich: Was ist „etwas Ordentliches“? Büroarbeit? Danke, darauf kann ich verzichten. Nur, weil es die sicherste Alternative ist, heißt das noch lange nicht, dass jeder im feinen Kragen zu einem Gebäude dackeln muss, bei dem ihm schon vom Hinsehen schlecht wird. Nein. Das ist nicht, was ich will.
Nichts so tun zu können, wie ich es für richtig halte, kotzt mich an. Man muss sich früh für einen Weg entscheiden, denn natürlich braucht man für alles eine spezielle Ausbildung. Für eine passende Ausbildung braucht man Geld. Und Zeit. Und den passenden Papierkram natürlich. Ohne Papierkram geht gar nichts.
Es ist eine Welt, die nur aus Zahlen und Formeln besteht. Eine Welt der Formulare und Termine. Eine Welt der festen Arbeitsstellen und der Ortsgebundenheit. Ich sehe sie als eine Welt, die uns an Bürostühle kettet und jeder andere Beruf ein Luxus ist, den sich nicht jeder erlauben kann. Wir werden an einem Ort festgehalten und nicht mehr freigelassen, bis wir zu alt dafür sind um in unserem Leben noch etwas zu erleben und etwas von der Welt zu sehen. Wenn wir die Zeit hätten, den Ort zu verlassen, an dem wir unser ganzes Leben verbracht haben, haben wir, wer hätte es geglaubt? Zu wenig Geld dafür. Wenn man weg will braucht man Geld. Und Zeit. Und beides gleichzeitig kann man nicht haben außer man ist ein sogenanntes It-Girl, das reich geboren wurde, durch die Welt jettet und irgendwann reich sterben wird und dann niemals auch nur einmal im Leben zu schätzen gewusst hatte, was ihm durch seinen Reichtum an Geld und Zeit alles ermöglicht worden ist. Das niemals etwas aus dem gemacht hat, was es hatte, weil es einfach viel zu egoistisch war, zu sehen, was es anderes als Parties, Drogen, Schlagzeilen und Sex gibt. Etwas gutes bewirken zum Beispiel. Nun, arbeiten müssen sie irgendwann ja auch mal, schätze ich. Und nein, Charity-Lady ist kein Job.
Da sagt man dann, wir alle seien gleich. Leider sind manche etwas gleicher als andere. Da haben wir etwas gleicheren leider Pech gehabt. Die wenigen Momente, die wir genießen können, wenn wir einem „ordentlichen“ Job nachgehen - Ich erinnere: In einem Büro sitzen und genau die privaten Kassenbons der Chefs einheften, bei denen wir dann genau wissen, wo das Gehalt hingeht, das wir zu wenig bekommen - Diese Momente vergehen viel zu schnell. Die wenigen Momente, in denen wir uns frei fühlen. Frei von Bürokratie. Frei von Geldsorgen. Frei von Fesseln, die uns da festhalten, wo wir nicht sein wollen: In der Telefonzentrale eines Bürokomplexes, in dem wir am unteren Ende der Nahrungskette stehen.
Während meines Wirtschaftsstudiums habe ich genau so gefühlt. Ich wollte nicht wissen, was ein Agio ist, wie die Qualität von Schrauben rechnerisch überprüft wird und ich wollte auch nicht ausrechnen, was für einen Studenten günstiger ist: Zug oder Auto? Mal ehrlich, das sieht man auf den ersten Blick. Er hat ein Semesterticket. Wie viel nach seinem Studium eine Monatskarte kostet, wissen wir ja nicht, deswegen war die Aufgabe nicht lösbar. Und genau das habe ich als Lösung hingeschrieben. Meine richtige Lösung. Ich kann mit Zahlen nicht umgehen und bin deswegen in dieser Welt immer öfter überfordert.
Ich erinnere mich zurück und fühle mich wieder genauso unwohl, wie ich es zu diesem Zeitpunkt getan hatte. Ich sehe aus dem Fenster, auf die dicht befahrene Straße. Die Matheaufgaben sind gerade uninteressant. Ich falle sowieso wieder durch. Die Autos auf der Straße interessieren mich mehr. Wer kommt wohl gerade aus dem Büro oder sonstwo her und will nur noch nach Hause auf die Couch? Sicherlich 80 Prozent. Da! Schon wieder eine Zahl! Und wir benutzen sie immer wieder. Zahlen. Zahlen. Zahlen. Bewusst. Unbewusst. Und sie sind überall. Überall, wo ich hinschaue. Menschen werden zu Zahlen, wohin ich auch gehe. Personalnummer. Matrikelnummer. Ausweisnummer. Kundennummer. Wir alle sind Nummern. Jeder von uns. Du. Ich. Und es kommen immer neue hinzu. Ich könnte Mitarbeiterin Nummer 813-739 werden. Oder Patientin Nummer 241. Jeder Mensch wird immer und immer mehr zu einer Ansammlung von Zahlen. Auch zu welchen, die uns nicht durchnummerieren. Ich zum Beispiel bin auch eine 3, weil ich schon zum dritten Mal in Mathe durchfallen werde. Manchmal bin ich auch eine 0, so im großen und ganzen Zusammenhang mit Zahlen.
Ich gehe hinaus auf die Straße und schaue mir die Autos näher an. Ich sehe Nummernschilder. Modellnummern. Dass ich mich in der Großstadt befinde und nicht zu Hause, macht das ganze nicht gerade besser. Menschen laufen an mir vorbei. Männer in Anzügen. Frauen in Kostümen und hohen Schuhen. alles grau in grau. Und manchmal auch schwarz. Keine Farben. Trist. Bedrückend. Beängstigend.
Sie sehen mich nicht, wie ich da stehe, mitten in diesem Gedränge. Zu sehr ist jeder mit sich selbst beschäftigt. Sie sprechen vor sich hin, mit Knöpfen in den Ohren und den Telefonen in den Taschen. Sie sehen aus, als führten sie Selbstgespräche, wie sie da laufen mit Scheuklappen und Aktentasche. Niemand von ihnen nimmt die Welt um sich herum wahr. Und ich stehe da. BWL-Studentin, die bald auch Scheuklappen trägt. Ich schaue mich um. Nehme alles in mich auf. Und stehe da inmitten des Grau.

Dienstag, 23. Juni 2015

Irgendwas läuft hier falsch

Liebe Männer, rafft es bitte mal. Ich will keinen, der mir erzählt, welches Auto er fährt oder wie viel er verdient. Sehe ich so aus? Ehrlich? Ich will keinen, der mir schon von Anfang an erzählt, dass ich mich bei seinem Anblick erschrocken hätte, aber auch keinen, der mir direkt schon erzählt wie toll ich bin und mich völlig über sich stellt. Aber was ich nicht haben kann, das will ich umso mehr. Prinz Harry zum Beispiel.
Okay, also Single sein ist doch nicht so einfach wie ich gedacht habe. Vielleicht bin ich es einfach nicht gewöhnt, aber es kommt mir einfach so vor als sei die Partnersuche schwer, als hätten die Kerle alle eine Freundin oder zu hohe Ansprüche und die, die nichts von beidem haben, die sind entweder verheiratet, schwul oder beschissen. Oder sie mögen einfach nur einen völlig anderen Typ Frau. Oder sie trauen sich nicht mich anzusprechen. Das ist dann am bittersten.
Ich traue mich so etwas nämlich auch nicht. Und dann scharwänzeln wir die ganze Zeit umeinander herum, oder auch nicht, und ich sehe die Zeichen, die da sagen: „Hey, Süße, du? Ich? Nachher? Zu mir der zu dir?“ Und ich selbst versuche völlig verspackt auch Signale zu senden aber anscheinend macht es den Typen Angst. Ich versuche damit dann so etwas zu sagen wie: „Du, ich, aber hallo! Natürlich.“ Nur sage ich wohl leider eher „Fick dich“ oder „Verdammt, ich habe meine Tage“.
Also ich will jetzt nicht dieses Frauenbild propagieren, das unbedingt einen Kerl braucht, mit dem das Weibliche Wesen endlich vollständig und lebensfähig ist. Nein, ich will einfach nur einen haben. Und warum? Ich persönlich mag dieses Gefühl von Verbundenheit und Nähe. Ich habe gerne jemanden zum knuddeln mit dem ich aber auch einfach mal gemeinsam mittagessen kann.
Liebe Frauen, rafft es bitte mal. Ich will meine Ansprüche nicht zurückschrauben und ja, im Gegensatz zu einigen Anderen gebe ich zu, dass die, die mich haben wollen, mir einfach nur nicht gut genug sind. Zumindest die, bei denen ich es momentan so mitbekomme.Aber nein, ich habe keine zu hohen Ansprüche, denn ich will keinen, bei dem ich von vorneherein weiß, dass ich mit ihm unglücklich wäre. Im Gegensatz zu einigen Anderen gebe ich zu, dass mir nicht nur das Innere wichtig ist, sondern auch das Erscheinungsbild. Das nennt sich, im Gegensatz zu dem, was mir vorgeworfen wird, aber nicht Oberflächlichkeit, sondern ich sehe den Menschen eben als Gesamtbild an, bei dem alles wichtig ist. Inneres. Äußeres. Was nutzt mir ein guter Charakter, wenn ich denjenigen äußerlich kein bisschen attraktiv finde? Und andersherum: Was soll ich mit einem Schönling, der dafür aber strohdoof ist und sich für Gottes größtes Geschenk an alle Frauen hält? Ist beides nicht so toll. Und in beiden Fällen wäre es mir unangenehm, denjenigen als den Mann zu bezeichnen, mit dem ich den Rest meines Lebens verbringen will, denn ich weiß genau: Ich bin unglücklich und haue mit dem nächsten ab, der mehr meinen Vorstellungen entspricht. Dafür sind Geschmäcker doch unterschiedlich. Damit es für jeden Topf einen Deckel gibt. Mindestens.
Aber wenn ich jemanden gefunden habe, der eine Chance bei mir hätte, dann merke ich es sofort. Dann will ich ihn immer wieder sehen. Ich bleibe so oft es geht in seiner Nähe, nur um immer in seine strahlend blauen Augen sehen zu können; gehe öfter in die Kneipe, in der ich ihn zum ersten Mal gesehen habe; hoffe, dass er beim nächsten Slam wieder im Publikum sitzt oder ich schreibe für ihn. Gedicht für Gedicht und er weiß es nicht. Und jedes Mal, wenn ich ihn sehe, frage ich mich: „Ist mir schlecht? Geht das von selbst wieder weg, wenn ich zum Porzellanheiligen bete? Dem heiligen Jörg, Schutzpatron der Magen-Darm-Erkrankten?“ Gute Frage. Ich kenne die Antwort bis heute noch nicht. Ich traue mich nicht, es auszuprobieren, Statistiken zu fälschen und mich so sehr darauf zu konzentrieren, dass ich am Ende immer kotzen muss wenn ich mich verliebe. Was wäre dann, wenn ich bei einem Auftritt ins Publikum schaue und da mal wieder einer wäre, der eine Ausstrahlung hat, die mich sofort fühlen lässt, als hätte ich eine ganze Brut Raupen gegessen? Was tu ich dann? Auf die Bühne reihern. Darauf würde es dann nämlich herauslaufen. Also lasse ich das mit der Statistik und der Magen-Darm-Theorie und hoffe einfach, dass derjenige mich mal anspricht. Wie gesagt traue ich mich das selbst auch nicht. Ist auch viel zu umständlich und ich bin viel zu faul um umständliche Dinge zu tun.
Das ist es. Ich habe keinen Freund, weil ich ein fauler Sack und ein verdammter Feigling bin. Dann bleibe ich doch lieber Single. Irgendwie fühle ich mich als Feigling doch wohler.

Dienstag, 16. Juni 2015

Wie schön wir doch alle entscheiden dürfen wie wir leben.

Das Leben ist schön. Die Welt ist schön. Am Arsch. Das zeigt mir mal wieder die Diskussion um die „Homo-Ehe“. Ehrlich gesagt verstehe ich nicht einmal, warum man dafür einen eigenen, kennzeichnenden Namen braucht und es nicht einfach „Ehe“ nennt. Es ist doch nichts anderes. Deshalb will mir auch der Sinn der ganzen Diskussion nicht in den Kopf rein. Es ist ja nicht so als seien wir nicht alle Menschen. Und Menschen stehen Rechte zu, und zwar allen die Gleichen. Punkt. Heiraten ist da ein ganz wichtiger Punkt, weil es einfach sehr viele Leute gibt, die es unbedingt wollen, unabhängig von ihrer Sexualität.

Leider gibt da diese schrecklich altmodischen Vollspaten, die nicht über ihren eigenen Tellerrand sehen wollen und erst mal die Fruchtbarkeitskeule schwingen, die aber selbst kinderlose Ehen führen. Zwar durch und durch hetero und „deshalb eine legale Verbindung“ (Um Himmels Willen, dass ich das sagen muss. Ich gehe gleich mal duschen und wasche mir die Hände mit Seife.), aber immer noch kinderlos. Und was war ihr Argument? „Die Ehe ist dazu da, Kinder zu bekommen.“ Dass es genug kinderlose Ehen gibt aber auch andererseits massenhaft unverheiratete Paare und selbst Alleinstehende, die Kinder haben, wird dann erst mal unter den Tisch fallen gelassen. Doch eigentlich ist schon seit langem ein Wandel erkennbar, der die konservativen und vollkommen veralteten Sichtweisen verdrängt. Zumindest dachte ich das, denn während meine Mutter, als ich geboren wurde (Man bedenke, das war erst 1990), von den verheirateten Wöchnerinnen getrennt wurde, ist heutzutage nichts mehr dabei wenn eine Frau ohne Trauschein schwanger ist. Außer es ist von einem One-Night-Stand, da wird man immer noch kritisch beäugt. Das wird aber hoffentlich auch noch gesellschaftlich anerkannt. Ansonsten verliere ich meinen Glauben an die Menschheit noch mehr. Glücklicherweise wurde ich als Bastard nie wirklich benachteiligt. Noch fünfzehn Jahre früher wäre das wohl nicht so gut gelaufen. Hat überhaupt mal jemand, der dieses Fruchtbarkeitsargument vorbringt, an Adoption gedacht? Es gibt so viele schwule Paare, die Kinder adoptieren. So viele geben schon Kindern, die von ihrer Familie im Stich gelassen wurden, ein liebevolles, stabiles Zuhause. Lesbische Paare adoptieren auch, nutzen aber öfter die Möglichkeit der künstlichen Befruchtung. Damit ist das Argument sowieso hinfällig.
Also, warum sollten Homosexuelle nicht heiraten dürfen? Weil es vor Gott eine Sünde ist, gleichgeschlechtlich zu lieben? Diese Begründung habe ich auch schon gehört. Ich kenne mich zwar in der Bibel nicht aus und bin alles andere als überzeugt von diesem Buch, aber steht das irgendwo da drin? Ich werde sie mir mal bei Gelegenheit zu Gemüte führen und es suchen. Ich bin zwar selbst gläubig, nur lebe ich es auf meine eigene Art aus, indem ich immer fair und freundlich bin, helfe wo ich kann und jedem Menschen den Respekt entgegenbringe, den er verdient. Nächstenliebe heißt das. Und jeder ist unser Nächster. Egal wie derjenige sein Leben gestaltet, ob beruflich oder privat. Dabei frage ich mich sowieso, ob Liebe überhaupt eine Sünde sein kann, denn kein anderes Gefühl ist so bedingungslos und schafft eine solch starke Verbindung zwischen zwei Menschen.

Natürlich gibt es hierzulande die Möglichkeit der eingetragenen Lebenspartnerschaft und einige reden sich auch erfolgreich ein, das sei genauso gut. Doch was dabei oft vergessen wird, ist, dass man nicht die gleichen Vorteile genießt wie nach einer richtigen Hochzeit. Man hat nicht die gleichen Steuervorteile und nicht die gleichen Rechte im Krankheits- oder Todesfall.
In der Abstimmung will das Saarland sich enthalten, soweit ich es mitbekommen habe. Ich selbst distanziere mich hiermit ausdrücklich von der Sichtweise unserer Landesregierung, denn ich unterstütze es von Herzen, dass unsere Gesellschaft sich verändert und vorankommt, immerhin wollen wir alle so leben, wie es uns richtig erscheint. Welche Entscheidungen jeder treffen darf und die Art wie der Einzelne lebt, sollte nicht von denen vorgeschrieben werden, die davon keine Ahnung haben. Heterosexuelle, verheiratete und zum Großteil kinderlose Menschen mit völlig antiquierten Ansichten sollten nicht denen, die ihren Partner lieben, verbieten zu heiraten. Das ist genauso wie ich von alten Männern, die ein Keuschheitsgelübte abgelegt haben, nicht mein Sexualleben diktieren lasse.
Was passiert, wenn homosexuelle Paare heiraten dürfen? Werden wir dann von Außerirdischen angegriffen, jedes Leben auf der Erde auslöschen? Oder wird ein genmanipulierter Sellerie die Weltherrschaft an sich reißen und uns alle versklaven? Nein, es wird einfach nur dazu führen, dass gleichgeschlechtliche Paare heiraten und die gleichen Rechte wie heterosexuelle Paare bekommen. Wir sind doch alle Menschen, das darf man nicht außer Acht lassen.

Dienstag, 9. Juni 2015

Brief an meine Angst

Ihr habt mich eingeladen. Sagt mal, wollt ihr mich verarschen? Wisst ihr nicht, was ihr mir damit antut? Seitdem sehe ich es immer wieder vor mir. Immer und immer wieder. Wenn ich die Augen schließe. Wenn ich alleine bin. Wenn mich niemand davor beschützen kann. Ich höre immer wieder eure Stimmen. Wie ihr mich auslacht. Wie ihr so tut, als wäre ich nicht da.
Ich will euch nicht sehen. Ich will nie wieder etwas von euch hören. Eigentlich hatte ich gedacht, dass ich niemals zu einem Klassentreffen eingeladen würde. Ehrlich gesagt hatte ich es sogar gehofft. Nein, ich will euch nicht sehen. Nicht jetzt. Nicht in ein paar Jahren. Nicht in einem Jahrhundert. Niemals wieder. Ich will nicht mit euch reden. Ich will euch auch nicht zuhören.
Schön dich zu sehen“, würdet ihr sagen. Sagt mal, wollt ihr mich verarschen? Nicht mehr als heuchlerisches Geschwätz. Ich warte drauf, dass es vorbei ist. Warum lasst ihr mich nicht in Ruhe? Ich dachte, nach dem Schulabschluss wäre es vorbei. Doch ich sehe noch immer eure Fratzen vor mir. Höhnisch lachend, weil ich nichts gegen eure Einheit ausrichten konnte. Ignorieren half nicht. Mich zu wehren half nicht.
Wenn du nicht darauf eingehst, hören sie von selber auf. Ignorier es einfach.“ Von wegen! Diesen Ratschlag hatte ich schon viel zu oft gehört. Ich hatte es versucht. Wirklich. Aber bloßes Ignorieren stachelte euch nur noch mehr an. Ihr habt euch aufgedrängt, mich in die Ecke getrieben und mich dann noch verspottet, wenn ich versucht habe, aus dieser Ecke auszubrechen. Ihr habt euch immer mehr aufgedrängt. Noch mehr, Und noch mehr. Sagt mal, wollt ihr mich verarschen? Ihr wollt mich sehen, mit mir einen trinken gehen als sei nichts geschehen? Mein Plan war zu überleben, euch keine Vorlagen zu geben, die ihr überall gefunden habt. Egal, was ich tat. Oder was ich ließ.

Als ich meinen ersten Freund hatte, wurde es noch schlimmer. Ich dachte, es musste so sein. Wirklich. Ich dachte, es sei eben so, dass man seinem Freund all seine Freizeit opfern muss. Dass man ihn in jeder Pause und Freistunde anrufen muss. Ich dachte, es sei normal, ihm jeden verdammten Tag den Vertretungsplan mitbringen zu müssen und niemals mit einem männlichen Mitschüler sprechen zu dürfen. Ihr hättet es mir sagen können. Ihr hättet mir helfen können. Sagt mal, wollt ihr mich verarschen? Ich dachte, es sei normal, immer erreichbar sein zu müssen, sogar mitten im Unterricht. Und wehe ich bin nicht rangegangen, wenn mitten in der Stunde das Telefon geklingelt hat.
Ich war hin- und her gerissen zwischen meinem Stolz und dem, was ich für meine Pflicht hielt. Leider hatte ich das Falsche aufgegeben. Aber ich dachte, es müsse so sein.
Er konnte mir alles erzählen. Dass eine Beziehung nur funktionieren kann, wenn man sich jeden Tag, jeden verdammten Tag direkt nach der Schule sieht. Bis. Man. Schlafen. Geht. Dass man immer nachweisen muss, wo man im Laufe des Tages gewesen ist. Dass man Ärger bekommt, wenn man den Bus verpasst. Sag mal, wolltest du mich verarschen?
Natürlich bekam das in der Schule jeder mit. Und ihr nahmt es euch zur Vorlage. Ich litt unter meinem Freund. Und deshalb litt ich noch mehr als vorher unter euch. Denn ihr dachtet, ich hätte das alles freiwillig getan. Freiwillig! Dass ich nicht lache! Sagt mal, wollt ihr mich verarschen? Ihr machtet euch darüber lustig, was ich tat und äfftet mich pausenlos nach.
Alles, was ich tat, breitete sich unter lautem Gelächter in der ganzen Schule aus, sogar bei Leuten, die ich nicht kannte.
Ihr habt mein Leben ruiniert bevor es richtig begonnen hatte. Nein, ich will euch wirklich nicht sehen, bleibt mir vom Hals! Nur ohne euch kann ich das Beste aus diesem Trümmerhaufen machen, der sich mein Leben schimpft und den ich noch immer am aufräumen bin.
Es ist jetzt fünf Jahre her und ich kann noch immer nicht unbeschwert leben. Ich kann noch immer nicht schlafen und alles, was ich sage, kommt mir dumm vor.
Ich habe noch immer Angst vor euch. Ich habe noch immer Angst vor ihm. Und ich habe mich durch euch zu dem entwickelt, was ich jetzt bin. Zynisch. Kalt. Fast tot.
Angst vor der Dunkelheit.
Angst davor, zu schlafen.
Angst vor Einsamkeit.
Angst davor, nichts wert zu sein.

Fällt euch etwas auf? Statt Spott hätte ich Hilfe gebraucht.

Not. My. Cup. Of. Tea.

Ich kenne fast niemanden. Das hört sich jetzt nicht so dramatisch an, aber wenn man davon auch noch niemanden wirklich trifft, sondern immer nur über Whatsapp oder Facebook Kontakt hat oder sich nur bei den gemeinsamen Theaterproben trifft, ist das schon ein etwas drastischeres Problem, denn es hat ja nie jemand Zeit und so sitze ich dann alleine da. Nicht immer zuhause, sondern meistens auf Bänken in der Innenstadt oder in irgendeinem Café.
Dann lern doch einfach Leute kennen.“ Ja, das höre ich oft genug. Aber wenn ich alleine weggehe, dann bleibe ich leider auch immer alleine. Man kann nicht mehr wirklich jemanden kennen lernen, wenn man nicht dazu gezwungen ist mit ihm zu reden. Zu sehr sind alle mit sich selbst beschäftigt. Da tippt dann jeder konzentriert auf seinem Handy oder Laptop herum statt sich mal auf ein Gespräch mit jemandem einzulassen, der gerade gefragt hat, ob er sich zu einem setzen darf. Das tu ich doch nicht ohne Grund. Ich selbst gehe sehr gerne auf Menschen zu, leider wurde ich deshalb schon recht oft abgewiesen, einfach weil jeder nur für sich bleibt. Deswegen lasse ich es mittlerweile.
Was willst du denn mit irgendwelchen Leuten reden? Die kennen dich doch gar nicht.“ Dann lernt man sich eben kennen. So schwer ist das nicht. Was nicht passt wird passend gemacht.Aber für einige menschliche Individuen scheint es recht schwer zu sein, es einfach zu begreifen. Man kann andere kennen lernen, die man noch nicht kannte, als man aus der Tür gegangen ist. Das funktioniert. Man muss es nur zulassen. Leider fällt das vielen etwas schwer und die „Bitte nicht stören“-Schilder werden immer größer und grauer. Aber ja, ich kann einfach neue Leute kennen lernen. Das ist ja so einfach. Bisher hatte ich immer nur Leute, mit denen ich etwas unternehmen konnte, wenn ich einen Freund hatte. Der hatte dann nämlich immer Freunde, die sich trotz Beziehung und anderem Studiengang noch für ihre Leute interessierten. Jedes Mal dachte ich, ich hätte endlich Freunde gefunden, aber nach jeder Trennung wollte keiner dieser Menschen mehr etwas mit mir zu tun haben. Ich habe sogar mal in Erwägung gezogen, vielleicht ein schlechter Mensch zu sein, aber nein. Das bin ich nicht. Und wenn ich einer werde, dann hilft mir das auch nicht.
Also von vorne. Leute Kennen lernen, aber wie? Klappt vielleicht wenn ich meine neue Arbeit antrete. Mal sehen. Einfach in die Stadt zu gehen und zu hoffen ist dagegen leider keine optimale Lösung.

Dienstag, 2. Juni 2015

(Frei?)Willig

Während alle gehen
Bleibe ich hier stehen
So sehr es mich auch quält
Sie hat den Tod gewählt
Freiwillig? Willig, doch nicht frei
Und lebte nur noch an uns allen vorbei
Sie sagte nicht Nein
Denn sie wollte Model sein
Ein Leben in Schönheit, Reichtum, Ruhm
Dafür musste sie zu viel tun
Abnehmen. Verzicht.
Sie hörte nicht auf mich
Doch ich, ich stehe immer noch hier
Ein Leben lang stand ich hinter ihr
Bis sie sagte, meine Sorge sei nicht echt
Bis sie sagte, ich rede es nur schlecht
Alles, was sie „wollte“
Alles, was sie tun sollte
Sie sagte niemals Nein.
Sie wollte erfolgreich sein

Ich schaue ihren Grabstein an
Von dem ich nicht glauben kann
Nein, nicht glauben will,
Dass er hier steht
Ich sehe, wie jeder geht
Doch stehe weiter still
Und leise bei ihr
Als Einzige bleibe ich
Und verspreche jetzt und hier:
„Ich werde leben. Für dich“
Und ich stehe immer noch hier
Ein Leben lang stand ich hinter ihr
Bis sie sagte, meine Sorge sei nicht echt
Bis sie sagte, ich rede es nur schlecht
Alles, was sie „wollte“
Alles, was sie tun sollte
Sie sagte niemals „Nein“
Sie wollte erfolgreich sein
Sie hat den Tod gewählt
Willig, doch nicht frei