Es gibt heute leider kein
Foto für mich. Letzte Woche auch nicht. Vorletzte auch nicht und
nächste sowieso nicht. Außer ich ändere etwas. Etwas ganz kleines,
kaum merkbar. Ich wäre ja immer noch die gleiche Person. Nur etwas
abnehmen. Zehn Kilo oder so. Dazu muss ich doch nur so eine schicke
Killerdiät machen. Sind doch momentan in jeder Frauenzeitschrift.
Dazu muss ich dann nur noch meine Haare einen halben Meter wachsen
lassen und meinen meinen Kleidungsstil radikal verändern. Denn wer
findet mich so schon attraktiv, außer meinem Freund und tausenden
anderen? Ich natürlich. Aber das zählt doch nicht. Ich zähle doch
nicht. Meine Meinung zu meinem Äußeren ist doch nicht wichtig.
Meine Bedürfnisse, mein Geschmack, alles Scheiße, denn ich bin ja
nicht die Moderatorin von „Snug, Marry, Avoid“, denn sie ist eine
der wenigen, denen mein Aussehen gefallen muss.
Am besten schränke ich
noch meinen Charakter, meine Wortwahl und die Hörbarkeit meiner
Stimme auf ein Minimum ein. Denn wer mag schon eine Frau mit Eiern,
die größer sind als ihre Titten? Und meine Ernährung auch, fällt
mir gerade ein. Es kann ja nicht angehen, dass ich Chips esse.
Erlaubt die Klum ihren Nachwuchsmodels, Chips zu essen? Oder
irgendetwas anderes, was weder ein kleiner Salat noch ein Zipfelchen
fettarmes Geflügel ist? Nee. Da sind doch Kalorien drin. Nachher
kann ich mich noch selber auf meinen Beinen halten! Damit verfehle
ich doch völlig den Sinn der Nahrungsaufnahme.
Doch es wird niemals ein
Foto für mich geben. Genau wie letzte Woche und vorletzte. Und
nächste Woche auch nicht, denn ich mag mich. Ich darf mich so mögen,
wie ich bin. Brauche keine Diät, esse drauf los und mache das so
solange ich mich gut dabei fühle. Nur ich. Sonst keiner. Die
Nahrungsterroristin, schwer bewaffnet mit der Gulaschkanone.
Eisbomben werden auf dich niederkrachen, Kaloriendiktator
Modeindustrie!
Aber... Halt! Diäten
sind doch schick, vielleicht sollte ich ja doch... Nur um es
ausprobiert zu haben, da ist doch nichts dabei. Tut doch jeder. Soll
ich vielleicht Kalorien zählen? Immer mit meiner Tabelle in der
Tasche? Sieht bestimmt voll krass intelligent aus, wenn ich alles,
was ich zu mir nehmen soll, erst in einem Büchlein nachschlage.
Denn: Darf ich das überhaupt alles essen, was die mir vorsetzen?
Soll ich Low-Carben? Paläoen? Brigitten? Ach, was soll's, ich nehme
gleich meinen Salat intravenös. Was soll es auch an meinem Gewicht
ändern, wenn ich auf einmal Brigitte heiße? Und welchen Namen
ändert man dabei in Brigitte? Den Vor- oder Nachnamen? Oder kommt
das irgendwo dazwischen? Pik-Brigitte-Sechs? Nee, hört sich doof an,
also lassen wir es mit der Brigitte-Diät. Ach scheiß drauf. Ich bin
gut. Ich bin immer gut, denn es gibt immer Menschen, die mich mögen.
Doch es wird niemals ein
Foto für mich geben. Genau wie letzte Woche und vorletzte. Und
nächste Woche auch nicht, denn ich mag mich. Aber ich darf mich
nicht mögen, glaube ich. Ich mag es nicht, wenn ich mich dafür
rechtfertigen muss. Sage ich etwas über knochige, reiche Frauen, die
die Cover der Frauenmagazine schmücken, kommt dann ganz schnell ein
Spruch. Einer, der die Begründung schlechthin anführt. Für alles.
Egel, was man wozu sagt: Das ist immer der Grund und nichts Anderes.
„Spricht da der
Penisneid aus dir?“ Wenn ich da jetzt mal so drüber nachdenke...
Nee, ich hatte noch nie das Bedürfnis, klein und schrumpelig zu
sein. Aber was hat das jetzt damit zu tun?
Penisneid bekomme ich nur
in einer einzigen Situation: Ich bin unterwegs, muss auf einmal ganz
dringend pinkeln und es gibt weit und breit kein Klo. Für Männer
kein Problem. Für die ist die ganze Welt ein einziges Klo. Wir rauen
dagegen müssen bis zur nächsten öffentlichen sanitären
Einrichtung anhalten, versuchen, irgendwie dorthin zu latschen, mit
zusammengekniffenen Beinen, und versuchen so auszusehen, als müssten
wir nicht. So. Dort angekommen müssen wir dann meistens noch dafür
bezahlen und wenn es nur damit ist, dass wir uns einen ganz fiesen
Genitalpilz einfangen. Nein, also in dem Fall werde ich tatsächlich
wieder zu dem kleinen Mädchen, das gerade herausgefunden hat, dass
es anders ist als die anderen kleinen Jungs und anatomisch, doch
etwas scheiße dran ist. Wenigstens wusste ich damals noch nicht,
dass ich irgendwann mal aus einer Gulaschkanone Eisbomben auf den
roten Teppich bei der Berliner Fashion Week schießen würde. Warum
ziehen die da überhaupt unschuldiges Gebäck mit rein? Die müssen
bestimmt irgendwann auch so schmal sein, dass keine Marmelade mehr
reinpasst.
Aber es gibt ein Foto für
mich. Jede Woche. Jeden Tag. Jede Stunde, Minute und Sekunde meines
Lebens. Ich habe ein Foto für mich. Und für jeden anderen auch.
Außer für dumme Arschlöcher. Für die habe ich kein Foto. Für die
habe ich ein A2-Blatt, auf dem ganz groß „Nicht dein Ernst, oder?“
steht. Mann, war das jetzt kitschig. Rosa Glitzereinhörner für
alle.