Samstag, 5. März 2016

K.Ein Foto für mich

Es gibt heute leider kein Foto für mich. Letzte Woche auch nicht. Vorletzte auch nicht und nächste sowieso nicht. Außer ich ändere etwas. Etwas ganz kleines, kaum merkbar. Ich wäre ja immer noch die gleiche Person. Nur etwas abnehmen. Zehn Kilo oder so. Dazu muss ich doch nur so eine schicke Killerdiät machen. Sind doch momentan in jeder Frauenzeitschrift. Dazu muss ich dann nur noch meine Haare einen halben Meter wachsen lassen und meinen meinen Kleidungsstil radikal verändern. Denn wer findet mich so schon attraktiv, außer meinem Freund und tausenden anderen? Ich natürlich. Aber das zählt doch nicht. Ich zähle doch nicht. Meine Meinung zu meinem Äußeren ist doch nicht wichtig. Meine Bedürfnisse, mein Geschmack, alles Scheiße, denn ich bin ja nicht die Moderatorin von „Snug, Marry, Avoid“, denn sie ist eine der wenigen, denen mein Aussehen gefallen muss.
Am besten schränke ich noch meinen Charakter, meine Wortwahl und die Hörbarkeit meiner Stimme auf ein Minimum ein. Denn wer mag schon eine Frau mit Eiern, die größer sind als ihre Titten? Und meine Ernährung auch, fällt mir gerade ein. Es kann ja nicht angehen, dass ich Chips esse. Erlaubt die Klum ihren Nachwuchsmodels, Chips zu essen? Oder irgendetwas anderes, was weder ein kleiner Salat noch ein Zipfelchen fettarmes Geflügel ist? Nee. Da sind doch Kalorien drin. Nachher kann ich mich noch selber auf meinen Beinen halten! Damit verfehle ich doch völlig den Sinn der Nahrungsaufnahme.
Doch es wird niemals ein Foto für mich geben. Genau wie letzte Woche und vorletzte. Und nächste Woche auch nicht, denn ich mag mich. Ich darf mich so mögen, wie ich bin. Brauche keine Diät, esse drauf los und mache das so solange ich mich gut dabei fühle. Nur ich. Sonst keiner. Die Nahrungsterroristin, schwer bewaffnet mit der Gulaschkanone. Eisbomben werden auf dich niederkrachen, Kaloriendiktator Modeindustrie!
Aber... Halt! Diäten sind doch schick, vielleicht sollte ich ja doch... Nur um es ausprobiert zu haben, da ist doch nichts dabei. Tut doch jeder. Soll ich vielleicht Kalorien zählen? Immer mit meiner Tabelle in der Tasche? Sieht bestimmt voll krass intelligent aus, wenn ich alles, was ich zu mir nehmen soll, erst in einem Büchlein nachschlage. Denn: Darf ich das überhaupt alles essen, was die mir vorsetzen? Soll ich Low-Carben? Paläoen? Brigitten? Ach, was soll's, ich nehme gleich meinen Salat intravenös. Was soll es auch an meinem Gewicht ändern, wenn ich auf einmal Brigitte heiße? Und welchen Namen ändert man dabei in Brigitte? Den Vor- oder Nachnamen? Oder kommt das irgendwo dazwischen? Pik-Brigitte-Sechs? Nee, hört sich doof an, also lassen wir es mit der Brigitte-Diät. Ach scheiß drauf. Ich bin gut. Ich bin immer gut, denn es gibt immer Menschen, die mich mögen.
Doch es wird niemals ein Foto für mich geben. Genau wie letzte Woche und vorletzte. Und nächste Woche auch nicht, denn ich mag mich. Aber ich darf mich nicht mögen, glaube ich. Ich mag es nicht, wenn ich mich dafür rechtfertigen muss. Sage ich etwas über knochige, reiche Frauen, die die Cover der Frauenmagazine schmücken, kommt dann ganz schnell ein Spruch. Einer, der die Begründung schlechthin anführt. Für alles. Egel, was man wozu sagt: Das ist immer der Grund und nichts Anderes.
„Spricht da der Penisneid aus dir?“ Wenn ich da jetzt mal so drüber nachdenke... Nee, ich hatte noch nie das Bedürfnis, klein und schrumpelig zu sein. Aber was hat das jetzt damit zu tun?
Penisneid bekomme ich nur in einer einzigen Situation: Ich bin unterwegs, muss auf einmal ganz dringend pinkeln und es gibt weit und breit kein Klo. Für Männer kein Problem. Für die ist die ganze Welt ein einziges Klo. Wir rauen dagegen müssen bis zur nächsten öffentlichen sanitären Einrichtung anhalten, versuchen, irgendwie dorthin zu latschen, mit zusammengekniffenen Beinen, und versuchen so auszusehen, als müssten wir nicht. So. Dort angekommen müssen wir dann meistens noch dafür bezahlen und wenn es nur damit ist, dass wir uns einen ganz fiesen Genitalpilz einfangen. Nein, also in dem Fall werde ich tatsächlich wieder zu dem kleinen Mädchen, das gerade herausgefunden hat, dass es anders ist als die anderen kleinen Jungs und anatomisch, doch etwas scheiße dran ist. Wenigstens wusste ich damals noch nicht, dass ich irgendwann mal aus einer Gulaschkanone Eisbomben auf den roten Teppich bei der Berliner Fashion Week schießen würde. Warum ziehen die da überhaupt unschuldiges Gebäck mit rein? Die müssen bestimmt irgendwann auch so schmal sein, dass keine Marmelade mehr reinpasst.
Aber es gibt ein Foto für mich. Jede Woche. Jeden Tag. Jede Stunde, Minute und Sekunde meines Lebens. Ich habe ein Foto für mich. Und für jeden anderen auch. Außer für dumme Arschlöcher. Für die habe ich kein Foto. Für die habe ich ein A2-Blatt, auf dem ganz groß „Nicht dein Ernst, oder?“ steht. Mann, war das jetzt kitschig. Rosa Glitzereinhörner für alle.